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Über die Malerei und Grafik von Franz Brandl

Franz Brandl war Zeichner, Maler, Bildhauer und Installationskünstler. 

Ein bildender Künstler will grundsätzlich einmal nichts verbal mitteilen – wollte er das, würde er schreiben und Schriftsteller werden. Das ist natürlich ein etwas oberflächlicher Ansatz, der auch nicht wirklich stimmt, aber er ist ziemlich nützlich, um sich so lange wie möglich den Koordinaten zu widmen, aus denen sich das „gebildete“ Werk eines bildenden Künstlers zusammensetzt – aus Farbe und Form. 

Anordnen von Farben und Formen ist das, womit er sich hauptsächlich beschäftigt. Warum er das tut – oft geradezu suchtartig – weiß er meistens nicht, es sagt ihm auch niemand, weil das erstaunlicherweise wenige Leute so richtig interessiert. Warum malt und formt man, schon als kleines Kind, und die meisten von uns nur als kleine Kinder? 

Jeder Mensch, der sich mit Farbe beschäftigt ohne zu denken, erfährt so etwas wie einen Flow oder Rauschzustand. Die zueinander gestellten Farben kreieren Informationsketten, die Optik alleine ist die Information. Welcherart die daraus entstehende Erlebniswelt wird, hängt von der Auswahl der Farben und ihrer Zusammenstellung ab. Aber zuerst ist die Farbe da.

Franz Brandl hat vor allem in seinen frühen Bildern meistens starke Farben verwendet, mit starken Kontrasten und Schwarz gekontert, und konnte wohl uferlos darin schwelgen und glücklich sein. Vor kurzem war ich in der Ausstellung über Matisse und die Fauves in der Wiener Albertina und musste sofort an ihn denken. Hier war erstmals der Versuch gemacht worden reine komplementäre Spektralfarben  als Informationseinheiten so voran zu treiben, dass sie ungemischt und brutal nebeneinander gestellt, trotzdem mehr oder weniger gerade noch ein Gleichgewicht, sogar ein Gefühl der Harmonie auslösen können.

Franz Brandl geht entschieden weiter, und ganz bestimmt nicht auf der Suche nach Harmonie. Er treibt das Ungleichgewicht der Farben so weit er kann, ohne direkt ein Gefühl von Ungleichgewicht zu erzeugen. Eher etwas wie Schwindel. Schwindel ganz bestimmt. Vielleicht Chaos.

Auch die zweite Koordinate geht in diese Richtung, egal ob es sich um abstrakte, abstraktere oder figurative Bilder handelt. Nehmen wir z.B. „Orwell 84“, diesen phantastischen Zyklus von Federzeichnungen aus dem Jahr 1984, der hier erstmals überhaupt komplett präsentiert worden ist. Die Schienenstränge, diese brutalen Rohre und Leitungen, erinnern zwar an Rahmen, laufen aber kreuz und quer durchs Bild, werden ineinander gerammt und durchbohren die runderen Formen – die augenscheinlichen Vertreter des Lebendigen. Aber die Requisiten der Ordnung werden dazu eingesetzt, nicht nur das Leben, sondern auch das Bild zu sprengen. Was für Franz Brandl ja wahrscheinlich das gleiche ist.

Einige Jahre später wird die Form direkt gesprengt. Kürzlich sah ich Fotos der Installationen  von Cornelia Parker. Sie nimmt tatsächlich verschiedene Gegenständer und schießt auf sie, sprengt sie, walzt sie platt, und verwendet die entstandenen Trümmer und Splitter für ihre schwebenden Skulpturen. Diese erinnern deutlich – wie hier z.B. im Gouachenzyklus – an die abstrakten Bilder der späten Achtziger und frühen Neunziger Jahre von Franz Brandl, der allerdings von Natur aus und auch ohne praktische Sprengversuche exakt zu wissen scheint, wie gesprengte Formen aussehen. In dem sehr politischen Bild „Der Golfkrieg“ entspricht diese Formensprache dem Thema, aber synchron dazu  hat sich die neue Abstraktion vermutlich aus einem zwingenden formalen Bedürfnis in die Freiheit gesprengt. 

Zerstörung für Abstraktion – Abstraktion als Konzept der Zerstörung von Formen, die einmal ganz waren. Die ein paar Bilder später, ein paar Jahre später auch wieder ganz oder halb ganz auftauchen können, wie sich herausstellen wird. Im Lauf der Jahre –  genauso wie hier im Lauf der Ausstellung – wird mehr und mehr ersichtlich, dass wir einen Prozess beobachten können, wenn nicht sogar ein Spiel, von vor und nach der Zerstörung, innerhalb  und außerhalb des Chaos, aus dem Weltall und innerhalb des Moleküls. Es gibt viele solche Paare.

Statt Form könnte  man auch Struktur sagen, Ordnung. Immer wieder taucht das Thema Struktur auf, als Gitter, als Schrift, als Raster, und in seinen letzten Jahren erneut als Gitter in den Fensterbildern. Was ist eigentlich eine Struktur für ihn? Der Gedanke drängt sich auf, dass Franz Brandl Strukturen als Gefängnis empfindet, zumindest als fragwürdig und rätselhaft. Wozu braucht man das? Als Stilelement vielleicht? In den Rasterzeichnungen hat jede Figur ihre eigene Struktur, die sie wie eine Matratze mit sich trägt, es prallen die Strukturen aufeinander, nicht die Figuren. Raster, die neben ihren Figuren  herfliegen, um sie herumfliegen, unter ihnen wellig flattern wie fliegende Teppiche, dem Chaos genauso preisgegeben wie alles andere auch. Das scheint Franz Brandl zu erfreuen, es wirkt, als würde er Chaos als weitaus natürlicher empfinden als jeder Ordnung. Zumindest in den Rasterzeichnungen und den Fensterbildern ist das Chaos heiter. 

Auch das Stilelement Schrift gehört hierher. Schreibt er, wie Franz Brandl es oft tut, handelt es sich um assoziative Gedankenfetzen, die nur fast verstanden werden können, und sich einer genauen Botschaft entziehen. Die übereinander geschichteten Schriften andererseits sind nicht nur Kritzelei, sondern fließende Gedanken, Assoziationen der Liebe, der Wut, des Entsetzens, was auch immer, aber immer wieder darüber, und sie heißen sehr wohl etwas, aber nun kann man es nicht mehr lesen. Und obwohl man es nicht lesen kann, nannte er doch einige davon Briefe. Er erwähnte so etwas auch nicht weiter und hielt diese Art Widersprüche gerne lautlos in Schwebe. Manche  ihm nahe stehenden Personen haben so einen Brief von ihm erhalten.

Sieht man sich z.B. die Federzeichnungen des Orwellzyklus genauer an, erkennt man plötzlich, dass sie fast nur aus solchen Schriften bestehen. All diese so präzise wirkenden Konstruktionen setzen sich eigentlich aus verschleierten Gedanken zusammen – unwillkürlich fällt einem dazu der Titel eines der Blätter auf: Der große Bruder kennt auch Deine Gedanken… 

Die so genannten Fensterbilder sind eine späte Variante. Diesmal könnte man meinen: das ist jetzt einmal ein ordentliches Gitter. Mit einem davor, dem Beobachter und einem dahinter oder innen, den Protagonisten. Sollte das wirklich so sein? Sieht man genauer hin, ist das Gitter mindestens so lebendig wie die Menschen, die es angeblich einschließt. Es tanzt um sie herum, schief und schräg, beendet quasi mittendrin seine eigene Existenz wie die unfertigen Erscheinungen bei Alice im Wunderland, krümmt den Raum in Richtung xte Dimension ohne seine Eingeschlossenen mitzukrümmen, die unbeeindruckt in ihren Wanderungen und seltsamen Tätigkeiten fortfahren, ob sie nun eingesperrt sein sollten oder nicht – sie scheinen es nicht zu merken.

Auch in dem großen Zyklus der 2000erJahre – den Menschentagen – ist die Versuchung groß, eindeutige Figuren mit eindeutiger Ziellosigkeit und mehrdeutigen Symbolen zu erkennen, und das ist natürlich auch wahr. 

Aber schon ein Jahr später im gleichen Zyklus kommt der Blick ganz woanders her. Jetzt finden wir die gleichen Figuren nur mehr als umhüllende Kontur vor, die nun die  Rahmenfunktion für weitere Figuren, Zeichen und Linien in allen Stadien der Auflösung übernommen hat. Sozusagen aus dem Raum gekippt und flachgelegt werden sie gemeinsam mit allen anderen Ebenen auf eine Fläche projiziert. Jetzt enthalten sie selber alle Geschichten. Die verschiedenen Formelemente, auch wenn man sie erkennen kann und sich an ihre vermutliche Bedeutung erinnert, gehören früher erfundenen  Stilen an und werden nun neu sortiert und so zueinander gestellt, dass sie bei maximaler Unordnung gerade fast eine Ordnung ergeben. So nach Art und Logik alter chinesischer Aufzählungen finden wir  Fabelwesen, Dämonen, Figuren und Flüchtlinge vor, die auf  Symbole, Chakren, Muster und Galaxien treffen. So ist der Kosmos, so ist auch das Gehirn, und vielleicht  haben wir hier eine präzise Beobachtung seiner Vorgänge, wenn Informationen über das Chaos des Lebens unzensiert eintreffen.

Franz Brandl war ein sehr engagierter Mann, wie hier alle wissen. Aber diese Haltung der absoluten Durchlässigkeit, einer Art Distanz zu vordergründigen Sinn und Bedeutungen, zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Es gibt sehr wohl Bedeutung, aber sie ist jetzt schon Grundlage für den nächsten Schritt ins völlig Ungewisse. Denn sollte eine  Bedeutung nicht diese Beweglichkeit haben, würde es kaum eine echte Bedeutung sein. Es gibt sehr wohl einen Sinn, aber er ist ein bisschen wie Schrödingers Katze – mal da mal dort mal nicht. Und sollte er sich nicht von selber einstellen, kann es sich ja kaum um Sinn handeln. In diesem „Sinn“ können wir auch verstehen, warum Franz Brandl seine Arbeit so glücklich machte. 

Und so kommen wir  nun zu seinem letzten Bild, diesem kosmischen Kind wie der Schlusseinstellung von „2001 Odyssee im Weltall“ entnommen, das er einige Tage vor seinem Tod gemalt hat und mit dessen Titel er uns wohl doch noch einen Hinweis gegeben hat, nämlich: Das Kind lenkt.

Ursula Pühringer

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